Gondelbahn Bad Ragaz - Pardiel (Pizol)

 

Älteste Gondelbahn der Schweiz. Betrieb eingestellt am 9. April 2007, Bahn abgebrochen.

 

Die Pizolbahn von Bad Ragaz, im Winter 2006/07 die älteste in Betrieb stehende Gondelbahn der Schweiz, war eine Zweiseil-Umlaufbahn nach dem System Wallmannsberger, die von der einstigen Maschinenfabrik Bell in Kriens erbaut wurde. Das Spezielle an dieser Bahn über zwei Sektionen war, dass ihre Bausubstanz im Wesentlichen bis zur endgültigen Betriebseinstellung erhalten geblieben ist; sogar die 4er-Kabinen stammten noch aus dem Jahre 1954. Somit konnte die Pizolbahn als eigentliches Technik-Denkmal der Ingenieurbaukunst aus der ehemals blühenden schweizerischen Maschinenindustrie angesehen werden.

In den Jahren 1953/54 wurde das Pizolgebiet im St. Galler Oberland gleich durch zwei Bergbahnen erschlossen, und zwar durch je eine Gondelbahn von Wangs und von Bad Ragaz aus. Während sich die Wangser für das Einseilsystem von Oehler, Aarau (am Seil festgeklemmte Kabinenmitnehmer) entschieden, setzte man in Bad Ragaz auf das bewährte und erprobte Zweiseilsystem von Dr. Wallmannsberger aus Salzburg. Unterschiede gab es nicht nur im Funktionsprinzip der beiden Bahnsysteme, sondern auch in der Lebensdauer der Anlagen. So musste die Wangser Gondelbahn von Oehler bereits nach 20 Jahren durch eine Von Roll-Anlage ersetzt werden, während sich die Bahn von Bad Ragaz bis ins Frühjahr 2007 halten konnte. Das sprach sicher nicht nur für die bewährte und funktionssichere Technik des Systems Wallmannsberger, sondern bestimmt auch für die Qualitätsarbeit der Erstellerfirma Bell aus Kriens.

Die Pizolbahn war erst die zweite von total sieben Anlagen, die von der Firma Bell nach dem Zweiseilsystem Wallmannsberger in der Schweiz erstellt wurden. War beim Betrieb der Bahn anfänglich noch viel Handarbeit gefragt, lief dieser ab 1984 durch die nachträglich eingebauten Stationsfördereinrichtungen weitgehend automatisch ab. Einzig für die Türschliessung der Kabinen mit Vierkantschloss und natürlich für die Überwachung des Betriebes war noch Personal nötig. Ab 1987 wurde der Fahrzeugpark der Pizolbahn aufgerüstet: Von der Aroser Hörnlibahn, die damals durch eine neue Sechser-Einseilgondelbahn ersetzt wurde, übernahm man eine Anzahl Kabinen und Laufwerke. Dadurch konnte die Förderleistung der Bahn und die Verfügbarkeit der Gondeln etwas gesteigert werden.  

Ende der Wintersaison 2006/07 lief die Betriebsbewilligung der Gondelbahn Bad Ragaz-Pardiel aus, und auch die Zubringerbahn von Wangs muss im nächsten Jahr totalsaniert oder gar ersetzt werden. Nun stellte sich aber die Frage, ob die Grösse des Ski- und Wandergebietes Pizol es rechtfertigt, immer noch zwei teure Zubringeranlagen zu betreiben. Ausserdem reichten die finanziellen Zuschüsse von Bund und Kanton für einen Neubau gleich beider Bahnen kaum aus. Damit wurde zwischen Bad Ragaz und Wangs eine längere Zeit anhaltende, heftige Diskussion ausgelöst, welches denn nun die "wichtigere" Bahn sei. Verschiedene Projekte einer neuen Haupterschliessung wurden durch unterschiedliche Ansichten und manchmal etwas stur anmutende Haltungen der beiden Bergbahn-Betreibergesellschaften immer wieder verzögert, bis man sich schliesslich auf das gemeinsame Projekt "Pizol 2010" einigen konnte und dafür die Gesellschaft Pizag gründete. Das Projekt Pizol 2010 sah den Bau von zwei neuen Zubringerbahnen vor. Durch ungenügende Finanzierung drohte diesem ehrgeizigen Projekt aber das vorzeitige Aus, und für das Ski- und Wandergebiet Pizol ein eigentliches "Grounding". Auf den Schock in der Region meldeten sich neue, private Grossinvestoren, und der Verwaltungsrat der Pizag wurde mit neuen Köpfen besetzt. Mit diesen Massnahmen und der Bereinigung der hängigen Einsprachen waren die Voraussetzungen erfüllt, dass Bund und Kanton ihre zugesagten Investitionshilfen sprechen konnten und der Weg frei wurde für ein neues Kapitel der über 53-jährigen Erschliessungsgeschichte am Pizol.

Bei all der Aufbruchstimmung die am Pizol herrscht, darf aber nicht vergessen werden, dass am 9. April 2007 mit der Zweiseil-Gondelbahn von Bad Ragaz ein einzigartiges technik- und tourismusgeschichtliches Denkmal seinen Betrieb für immer eingestellt hat. Es gibt in der Schweiz wohl keine Gondelbahn mehr mit ähnlich ästhetischen Qualitäten wie die Pizolbahn, die sich so perfekt in die Landschaft integrierte und sogar als Bereicherung in der Natur angesehen werden konnte. Zusammen mit der faszinierenden Seilbahntechnik aus vergangenen Tagen stellte diese Bergbahn somit ein unbedingt erhaltenswertes technisches Kulturgut dar, was auch den Schweizer Heimatschutz auf den Plan gerufen hat. Da diese Organisation in letzter Zeit wiederholt auf die Schutzwürdigkeit historischer Seilbahnanlagen hingewiesen hat, trat man auch in Sachen Pizolbahn mit einer Medienmitteilung an die Öffentlichkeit. Leider stiessen die Bemühungen des Schweizer Heimatschutzes bei den Bergbahnverantwortlichen auf taube Ohren. Gleich nach dem letzten Betriebstag wurden die Abbrucharbeiten aufgenommen und praktisch das gesamte Material dem Alteisen zugeführt. Einzig die Kabinen wurden im Rahmen eines Volksfestes versteigert. Somit erinnern in Zukunft vielleicht nur noch vereinzelte, zu Gartenhäuschen degradierte Gondeln auf privaten Grundstücken an die einst blühenden Zeiten dieser letzten Zweiseil-Gondelbahn in der Schweiz.

Technische Daten der Gondelbahn Bad Ragaz-Pardiel (Stand 1954):

 

 1. Sektion

Bad-Ragaz - Wildboden

 2. Sektion

Wildboden - Pardiel

 Inbetriebnahme  1. Januar 1954  1. Januar 1954
 Ausserbetriebsetzung  9. April 2007  9. April 2007
 Erbaut durch  Th. Bell, Kriens  Th. Bell, Kriens
 Fahrbahnlänge  1683 m  1822 m
 Grösste Sehnenneigung  39,5 %  61,4 %
 Höhe Talstation  508 m.ü.M.  -
 Höhe Mittelstation  958 m.ü.M.  958 m.ü.M.
 Höhe Bergstation  -  1630 m.ü.M.
 Höhendifferenz  450 m  672 m
 Anzahl Stützen  7 + 1 Kuppengerüst  6 + 2 Kuppengerüste
 Grösste Spannweite  323 m  691 m
 ø Tragseil  29 mm  30 mm
 ø Zugseil  25 mm  25 mm
 Anzahl 4er- Kabinen  50 (1. u. 2. Sekt.)  -
 Fahrgeschwindigkeit  2,7 - 3,0 m/sec.  2,7 - 3,0 m/sec.
 Förderleistung  350 Pers./h  350 Pers./h

1. Sektion:

Pizol 1 1 Pizol 2 2 Pizol 3 3 Pizol 4 4

Abb.1: Die Talstation im Baustil der 50er-Jahre. Abb.2: In der Talstation startet soeben die Kabine Nr.38. Sie befindet sich auf der schrägen Beschleunigungsrampe, die durch einen modernen Pneu-Beschleuniger ergänzt wurde. Mit dieser Einrichtung wird sichergestellt, dass die Kabine beim Ankuppeln exakt die gleiche Geschwindigkeit wie das Zugseil erreicht. Abb.3: Die Hängebahnschiene führt bei der Einsteigestelle im Halbkreis um die Zugseilumlenkung herum. Die Kabinen werden hier mittels Kettenförderer weiterbewegt. Abb.4: Kabinenlaufwerk auf der Hängebahnschiene. Die rote Stange ist ein Schwingungsdämpfer gegen Pendelbewegungen der Kabine.

Pizol 5 5 Pizol 6 6 Pizol 7 7 8 Pizol 9 9

Abb.5: Typenschild des Herstellers mit den zwei gusseisernen Seilscheiben auf einer gemeinsamen Welle. Abb.6: Talstation mit einfahrender Kabine. Abb.7+8: Blick von der Talstation nach der Strecke. Einzelne Kabinen wurden von Schulkindern fantasievoll bemalt. Abb.9: Die sehr niedere Stütze Nr.2.

Pizol 10 10 Pizol 11 11 Pizol 12 12 Pizol 13 13 Pizol 14 14

Abb.10: Gondelbahn mit Blick auf Bad Ragaz und den Falknis im Hintergrund. Abb.11: Sind nur wenige oder keine Kabinen unterwegs, hängt das Zugseil so stark durch, dass es stellenweise den Boden berühren würde, so dass an zwei Orten auf der Strecke derartige Zugseilstützen nötig wurden. Abb.12: Gondelbahn bei der Chrinne mit dem Falknis. Abb.13+14: Niedere Stütze Nr. 5 bei der Chrinne.

Pizol 15 15 Pizol 16 16 Pizol 17 17

Abb.15+16: Kuppengerüst Nr. 1 vor der Zwischenstation Wildboden. Abb.17: In der Mittelstation rollen die Kabinen, automatisch bewegt von Kettenförderern, auf Verbindungsschienen von der einen zur anderen Sektion. Auch hier wurden die Beschleunigs- und Verzögerungsrampen sowie die Kuppel- und Entkuppelstellen mit Pneuförderern ausgestattet. Die Kabine Nr. 5 startet gleich in Richtung zweiter Sektion.

2. Sektion:

Pizol 18 18 Pizol 19 19 Pizol 20 20 Pizol 21 21

Abb.18+19: Ausfahrende Kabinen aus der Mittelstation Wildboden auf der 2. Sektion. Abb.20: Damit auf dem nachfolgenden Streckenabschnitt eine genügende Bodenfreiheit gewährleistet ist, musste gleich nach der Mittelstation eine imposante Stütze aufgestellt werden. Abb.21: Blick aus der Kabine während der Talfahrt auf die Mittelstation.

Pizol 22 22 Pizol 23 23 Pizol 24 24 Pizol 25 25 Pizol 26 26

Abb.22: Blick von Wildboden aus bergwärts auf die 2. Sektion. Abb.23-26: Am Ende des Steilhanges der 2. Sektion folgen in kurzen Abständen drei niedere Stützen und das Kuppengerüst Nr. 2.

Pizol 27 27 Pizol 28 28 Pizol 29 29

Abb.27: Blick vom Kuppengerüst aus nach Pardiel mit der Bergstation, darüber sichtbar die neue Vierersesselbahn Laufböden. Abb.28: Zwei Kabinen "über" dem Alvier und dem Gonzen. Abb.29: Gondelbahn mit Blick ins St. Galler Rheintal.

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Abb.30-33: Kuppengerüst zur Einfahrt in die Bergstation.

Pizol 34 34 Pizol 35 35 Pizol 60 36 Pizol 61 37 Pizol 62 38 Pizol 36 39 Pizol 37 40 Plakat 41

Abb.34: Eine blau bemalte Kabine fährt in die Bergstation ein. Auf diesem Bild wird die aufwändige Bauart der Stationskonstruktion mit ihren vielen Trägern, Streben und Führungen deutlich. Abb.35: Nach dem Abkuppeln werden die Kabinen von Pneuförderern erfasst, abgebremst und im Kriechgang durch die Station geführt. Im betonierten Mittelteil ist die Antriebseinheit der Seilbahn untergebracht. Kabine Nr. 24 ist soeben gestartet und befindet sich noch auf der Beschleunigungsstrecke. Abb.36: Eine Originalkabine der Pizolbahn aus dem Jahre 1954. Diese Bauweise in Aluminium stellte für viele Jahre den Standard bei Gondelbahnfahrzeugen dar. Abb.37: Eine Gondel im Design der Sechzigerjahre von der alten Hörnlibahn in Arosa. Zum Einsatz am Pizol kamen diese zusätzlichen Kabinen zwecks Steigerung der Förderleistung ab 1987. Abb.38: Zum Vergleich nochmals die zwei verschiedenen Kabinentypen der Pizolbahn: Links eine alte Originalgondel, rechts eines der nachträglich beschafften Fahrzeuge aus Arosa. Beide Kabinentypen wurden von der einstigen Firma Métalléger SA in Sierre produziert. Abb.39: Eingangspartie der Bergstation. Abb.40: Diese Postkarte von 1954 zeigt die nagelneue Gondelbahn mit der Scesaplana-Gruppe im Hintergrund. Abb.41: Plakat aus der Anfangszeit der Pizolbahn. Man beachte die alte Schreibweise "Piz Sol" (heute Pizol), was etwa soviel bedeutet wie Sonnenspitze.

 

Abbruch der Pizolbahn und Tod eines Technikdenkmals

Pizol 38 42 Pizol 39 43 Pizol 40 44 Pizol 41 45 Pizol 42 46 Pizol 58 47

Abb.42+43: Am 10. April 2007, gleich nach dem letzten Betriebstag, wurden die Abbrucharbeiten an der Pizolbahn aufgenommen. So präsentierte sich die Talstation 14. April. Die Seitenwand ist entfernt und im Innern sind erste Komponenten demontiert worden. Abb.44: Ganz anders die Situation am 23. April: Von der einstigen Talstation ist nur noch ein Schutthaufen übrig, der nun durch Baumaschinen abgetragen wird. Noch sind im Hintergrund zwei Streckenstützen zu erkennen. Abb.45: Eine der beiden Tragseil-Spannwinden, die als ganze Einheit ausgebaut wurden und nun auf den Abtransport warten. Abb.46: Die Umlenkscheiben der Zugseilabspannung, diverse Zugseilrollen und eine ganze Anzahl von Pneurädern wurden beiseite gelegt. Können diese Teile für eine Materialseilbahn weiterverwendet werden, oder sind sie etwa für Souvenirjäger bestimmt? Abb.47: Zugseilrollen von den Stützen.   

Pizol 43 48 Pizol 44 49 Pizol 45 50 Pizol 46 51 Pizol 47 52 Pizol 54 53 Pizol 55 54 Pizol 48 55

Abb.48: Den Seilen und damit ihrer Funktion beraubt, wartet Stütze Nr. 5 etwas verloren auf den Abbruch. Hier kommt nochmals die vollendete Schönheit der Bell' schen Fachwerkkonstruktionen zum Ausdruck. Abb.49: Am 14. April war das Einholen der Seile auf der zweiten Sektion noch nicht ganz abgeschlossen. Abb.50+51: Sämtliche in der Mittelstation eingaragierten Kabinen werden nach und nach von den Gleisen abgehängt. Abb.52+53: Nach dem Abhängen der Gondeln stapeln sich die Laufwerke vor der Station. Abb.54: Neben den Laufwerken wurden auch die Gehänge und diverse Rollen zum Abtransport bereitgelegt. Abb.55: Blick aus der Mittelstation auf die erste Sektion: Die Seile sind verschwunden, noch steht aber das Kuppengerüst. 

Pizol 49 56 Pizol 50 57 Pizol 51 58 Pizol 52 59 Pizol 53 60 Pizol 56 61 Pizol 57 62 

Abb.56: 23. April 2007: Das Kuppengerüst bei der Mittelstation wurde von den Fundamenten gestürzt und mit der Trennscheibe in transportfähige Stücke zerteilt. Abb.57: Gleich wird mit den Stützen verfahren: Nach dem Lösen der Sockelschrauben werden die Masten umgerissen und anschliessend mit der Trennscheibe zerstückelt. Hier zu sehen Mast Nr. 7. Abb.58-60: Mast Nr. 6 liegt am Boden, wurde aber noch nicht mit der Trennscheibe "bearbeitet". Abb.61: Nun ist auch der erste Mast der zweiten Sektion bei der Mittelstation gefallen. Am 8. Mai liegen seine Trümmer und weiteres Alteisen auf dem Vorplatz der Station Wildboden. Abb.62: Arbeitslos gewordene Gondeln warten auf Wildboden auf neue Besitzer.

Fotos: Nr. 1 - 39, 42 - 62: C. Gentil

Videoclip der Pizolbahn (Quicktime-Film 8,5 Min., 20 Mb): pizolbahn.mov


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